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User von Coworking0711 XXXIV: Eike-Christian Heine

In unregelmäßigen Abständen interviewen wir User von Coworking0711 und stellen sie hier kurz vor. Heute: Eike-Christian Heine

Wer bist du und womit beschäftigst du dich?

Ich bin Eike-Christian Heine und ich bin Historiker. Ich arbeite zur Geschichte der Wissenschaft, der Technik und der Umwelt. Dabei konzentriere ich mich auf den Zeitraum von ca. 1750 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Ich beschäftige mich vor allem mit der Geschichte von Infrastrukturen und der Geschichte von Forschungsexpeditionen.

Ich habe meine Dissertation über die Geschichte des Nord-Ostsee-Kanals geschrieben. Das war das größte Bauprojekts des deutschen Kaiserreichs. Der Kanal ist ungefähr 100 km lang, 10m tief und 100m breit. Ein Kapitel des Buches beschäftigt sich zum Beispiel mit den unerwarteten und katastrophalen Folgen für die Umwelt.

Kürzlich habe ich ein Buch abgeschlossen, das den Zusammenhang von Großprojekten und Wissensproduktion untersucht. Das wird kommendes Jahr bei Pittsburgh University Press erscheinen. Den Band habe ich zusammen mit Kolleg:innen geschrieben. Es geht einerseits um Kanäle, Autobahnen oder Pipelines – und andererseits um die Frage, wie an diesen Orten die Tropenbiologie, die Archäologie oder die Ethnologie ihre Forschung betrieben.

Mein Beitrag beschäftigt sich mit Autobahnen und Archäologie im Nationalsozialismus. Die Reichsautobahn wurde ideologisch überhöht. Die Nazis benutzten das Projekt als Beweis ihrer Progessivität. Gleichzeitig gab es zu der damaligen Zeit in Deutschland praktisch keine Autos, die auf diesen Straßen fahren konnten. Bei dem Bau wurden auch archäologische Funde gemacht. Diese sind ideologisch umgedeutet worden, um das germanische Ahnentum zu beweisen. Dass dabei viele Funde aus römischer Zeit gemacht wurden, hat die meisten Archäologen nicht weiter interessiert.

Aktuell beschäftige ich mich mit zwei Sachen sehr intensiv: Ich schreibe gerade ein Buch, bei dem ich mich auf archäologische Feldforschung von Europäern im sogenannten Orient konzentriere. Das Material dazu habe ich zum Glück vor Corona gesammelt. Ich war in vielen Archiven in Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Archäologie war im 19. Jahrhundert eine Leitwissenschaft. Die Forscher fanden im Osmanischen Reich materielle Spuren von Bibel und Antike. Das antike Griechenland und Rom, Altes und Neues Testament waren damals ungeheuer wichtig: alle Gymnasiasten waren humanistisch gebildet, die Kirche spielte eine ganz andere Rolle in Öffentlichkeit und Politik als heute. Ein wichtiges Thema meines Buches ist, dass meine Akteure moderne Techniken wie Fotografie, Eisenbahnen oder Luftfahrt ausprobierten und so die Praktiken der Feldforschung veränderten. Gleichzeitig zeigt der Blick auf die Ausgrabungen im Nahen Osten, dass Wissenschaft und koloniale Eroberung Hand in Hand gingen.

Zweitens bereite ich schon mein nächstes Projekt vor. Dabei wird es um deutsch-französische Expeditionen im 20. Jahrhundert gehen. Mich interessieren hier Forschungsfahrten in extremen Umwelten, wie die Tiefsee, die Polarregionen und das Hochgebirge. Zu diesem Expeditionsthema habe ich kürzlich ein internationales Netzwerk gegründet. Wir sind 20 Historiker:innen aus Europa und den USA. Mit Unterstützung der DFG treffen wir uns in den kommenden drei Jahren auf einer Reihe von Workshops, diskutieren unsere Forschung und bereiten eine Veröffentlichung vor. Ich freue mich schon sehr darauf, dass Corona endlich zu Ende geht und ich mich wieder mit anderen Forscherinnen und Forschern austauschen kann. 

Außerdem unterrichte ich auch noch Geschichte (Wissenschaft-, Technik und Umweltgeschichte) an der TU Braunschweig. Im Moment findet alles noch online statt. Ich biete zum Beispiel Seminare zur Geschichte der westdeutschen Umweltbewegung, zur Geschichte der Fabrik oder zur Rolle der Industrie im Nationalsozialismus an.

Seit wann bist du im Coworking0711?

Seit Oktober 2020.

Wie oft kann man dich da treffen?

Bislang konnte man mich hier täglich treffen. Das wird allerdings weniger werden, weil die Bibliotheken wieder aufmachen.

Warum bist du im Coworking0711 und wie bist du darauf aufmerksam geworden?

Ich bin im Coworking, weil der Lockdown zuhause mit Kind nicht immer so möglich war, wie ich das brauchte. Wir wohnen um die Ecke – und ich kannte das Coworking0711 schon vom Vorbeigehen.

Wo kann man dich treffen, wenn du nicht im Coworking0711 bist?

In der Württembergischen Landesbibliothek und auf Spielplätzen im Stuttgarter Westen.

Wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, habe ich vor, wieder Schlagzeug in einer Band zu spielen. Früher habe ich bei der Band „Der Raketenhund“ getrommelt. Meine anderen Bands hießen „Tchi“ und „die Grätenkinder“.

Weitere Informationen:

Hier ein Link zu meiner Homepage:
https://www.ifg-braunschweig.de/dr-eike-christian-heine/

Hier der Link zu meiner Doktorarbeit über die Geschichte des Nord-Ostsee-Kanals:
https://www.kulturverlag-kadmos.de/buch/vom-grossen-graben.html

Hier ein Link zu dem Buch, das die Schnittstelle von Infrastrukturen und Wissenschaft untersucht und 2021 erscheinen wird:
https://www.bibliovault.org/BV.book.epl?ISBN=9780822946373

Das Netzwerk zur Geschichte von Expeditionen startet im Dezember 2021. Gerade bastle ich ein Blog, dass Ende Juli 2020 starten wird: https://expeditions.hypotheses.org


Hier die Musik meiner alten Bands:

Der Raketenhund: https://www.raketenhund.de/page/2

Die Grätenkinder: https://www.youtube.com/playlist?playnext=1&list=PLZixUfdZduIO2WYP0OTLTISszDGDvRoag&feature=gws_kp_artist

Tchi: https://www.discogs.com/de/artist/414631-Tchi

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